Verständnis
Jette Gummersbach
Motivation Jetzt bin ich Künstlerin- mit akademischem Grad. Auf das Vorhandensein von künstlerischen und kunstbezogenen Fähigkeiten und Erfahrungen wurde ich geprüft. Ich kann Ideen eine Form geben und Materialien zum Thema machen. Ich kenne Techniken und ihren Ausdruck, habe ein Gefühl für Ästhetik und ihre Bedingungen. Ich habe mich mit der Wirkung von Kunst und künstlerischer Partizipation auseinandergesetzt, künstlerisches Arbeiten angeleitet und weiß um ihre Wirkung und die gesellschaftliche Bedeutung die sie haben kann. Nun könnte ich meine Kunst ausstellen und sie verkaufen. Ich könnte; aber über ihre bloße Ausübung hinaus verstehe ich Kunst als einen Gegenstand der Wissenschaft, als ein von Lehre und Forschung eingerahmtes Gut, das nicht zuletzt auf ein konkretes Berufsbild hinauslaufen soll. Die Vermittlung von Kunst, von ihrer faktischen Breitenwirkung über das Auge des Betrachters hinaus, in Medien, Wirtschaft, Recht und Staat, betrachte ich als meine weiteren gestalterischen Möglichkeiten. Dazu zähle ich auch mein Anliegen, die spezifischen Wirkungsweisen der Kunst den Menschen nahe zu bringen. Weil ich selbst Künstlerin bin strebe ich an, den Schwerpunkt meiner Tätigkeit nicht nur auf die eigene künstlerische Arbeit und deren Präsentation zu legen, sondern auch darauf, die besondere Aufgabe und die mediale Fähigkeit der Kunst zu organisieren und zu vermitteln. Demnach und trotz des anvisierten Tätigkeitsfeldes im Bereich der Kunstvermittlung liegt es mir am Herzen, die Kunst nicht vorrangig in den Dienst wirtschaftlicher Interessen zu stellen, sondern die Kunst als solche erfahrbar zu machen. Diesen persönlichen Anspruch zu erheben, ist nicht nur das Ergebnis meiner interdisziplinären Auseinandersetzung mit der Wirkung von Kunst, sondern auch mein berufliches Ziel. Kunst ist aus der ihr erwachsenen Bedeutung für Gesellschaften und der in ihr Lebenden zu einem Wirkungsfaktor von Freiheit geworden, der sie gerade im Zeitalter der Kommunikation zum Medium schlechthin erhebt. Ist es doch die Kunst, die als Medium des Künstlers, zu einer kritischen Auseinandersetzung mit diesen Missständen führt und als Sinngeber die Gesellschaft gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten trägt. Wie ist zeitgenössische Kunst in ihrer gesellschaftlichen Gesamtinterpretation also zu verstehen? Welche Rolle spielt sie für den Einzelnen, für Gruppen, was sagt sie über die Konstitution einer Gesellschaft aus und vor allem, welchen Ausschlag gibt sie für das Zusammenleben? "Contemporary Art challenges us... it broadens our horizons. It asks us to think beyond the limits of conventional wisdom. " Eli Broad vermag in diesem Satz die Spitze jenes Eisbergs zu beschreiben, den ich zunächst als mein Verständnis von Kunstwirkung benennen will. Kunst hat aus meiner Perspektive neben dem materiellen und ideellen Wert auch tiefergehende Auswirkungen auf den Menschen. Kunst als Unterbegriff der Kultur ist der Bereich, in dem Künstler und Gesellschaft in Kommunikation treten. Ein Kunstwerk von dessen Existenz niemand weiß, das nicht gesehen und über das nicht gesprochen wird, hat keine soziale Realität. Erst wenn es in den Bereich der Interaktion einbezogen und zum Kommunikationsobjekt wird, erlangt es soziale Realität. Mit dem Werk kommuniziert der Künstler, in dem er seine Auseinandersetzung mit der Welt zu einer Aussage formuliert, beziehungsweise ein Symbol für seine Auseinandersetzung entwickelt hat. Dabei bedient er sich einer speziellen "Sprache", da er seine Mitteilung in einem jeweilig spezifischen Medium vorträgt. Der Kunstteilnehmer seinerseits diskutiert für sich, ausgehend von der künstlerischen Äußerung, seine Stellungnahme zur Welt. Betrachtet man nun gesondert die Wirkung der Kunst auf den Teilnehmer, so kann ihre Ursache eben nur das künstlerische Werk, das vom Künstler Geschaffene sein. Interpretiert man weiterhin die verschiedenen Künste und deren Wirkungsbereiche als Teil des Oberbegriffs der Kultur, lässt sich festhalten: Kultur, als Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Lebensäußerungen definiert, findet also überall dort statt, wo es eine Auseinandersetzung mit der Welt gibt. Der Mensch sieht, ja er erlebt sich selbst als Sehenden und sieht doch gleichzeitig im Kunstwerk an sich eine gesehene, reflektierte Stellungnahme eines Anderen zur Welt. Es findet also eine nonverbale Kommunikation von Subjekt zu Subjekt durch das Objekt statt. Künstlerische Wahrnehmung wird damit zur Erkenntnistätigkeit. Die vermeintliche Sprachabhängigkeit des Wahrnehmens und Denkens wird durch das Künstlerisch-Anschauliche ersetzt. Das Kunstwerk wird zur Artikulation einer sinnlichen Erkenntnis. Durch meine Untersuchungen in „la sensation des formes“ (s.o.: „Studieninhalte“) bin ich in eben diesem genannten Sinn zu der Erkenntnis gelangt, dass sich eine Wirkung durch das Erkennen der Ursache, also mitunter erst durch das Anleiten des Künstlers bewusst machen lässt. Mein Ansatz mit dem ich in die Kunstvermittlung gehen will ist der Standpunkt, dass Kunst eine Aufgabe hat und deren Umsetzung wichtig ist. Denn sie vermag durch die ihr immanenten Mittel die Gesellschaft zu formen und weiter zu entwickeln. Durch die verarbeitete Wahrnehmung des Künstlers ist sie sozialer Spiegel, zeigt neu geformte Ideologien auf und vermittelt sie. So ist geschichtlich anhand der Kunst festzustellen, dass sich geistige Wandlungen der Gesellschaft schon vorher in der Kunst ankündigten. Durch die Erfahrungen als Künstlerin, die besonders die Arbeitsweise, den Umgang mit Themen, Materialien und den eigenen Input betreffen, habe ich mir das in meinen Augen grundsätzlich erforderliche Verständnis geschaffen, mit dem ich den Inhalt dessen was in der Kunstvermittlung behandelt wird, mit fundierten Kenntnissen weiter tragen kann. Die Kunstwahrnehmung am reinen Kunstgegenstand, ohne Vergleiche und geschichtliche Stützen zur Hilfe zu nehmen, die also Sprache der "sinnlichen Erkenntnis" genannt werden kann und über die ein Kunstwerk kommuniziert, ist mir zu eigen und erlaubt mir somit ein tieferes Verständnis für den Handlungsgegenstand, der eben Kunst ist.